Einführung Die mehr als 100 Gestaltgesetze wurden in den 1920er Jahren als Organisationsprinzipien der visuellen Wahrnehmung entdeckt und formuliert. Sie beschäftigen sich mit Wahrnehmungsphänomenen aus der Gestaltpsychologie und sind Verallgemeinerungen der Funktionsweise und Eigentümlichkeit der visuellen Wahrnehmung des Menschen. Sie beschreiben Prozesse der Gliederung und Herstellung von Zusammenhängen im Wahrnehmungsfeld. Obwohl sich der Begriff »Gestaltgesetze« durchgesetzt hat handelt es sich weniger um Gesetzmäßigkeiten als vielmehr um Regeln, die starken Wechselwirkungen unterliegen und deren Phänomene selten isoliert auftreten. Sie liefern keine Erklärung für die festgestellten Phänomene. Den Gestaltgesetzen liegen vier in der Renaissance entdeckten Prinzipien der Wahrnehmung zugrunde, die damals fester Bestandteil in der Ausbildung von Malern waren: |
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1. Lineare Perspektive Tatsächlich parallele Linien scheinen sich in der Ferne einander anzunähern. |
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2. Atmosphärische Perspektive Ferne Objekte erscheinen weniger kontrastreich und farbintensiv als nahe. Sehr weit entfernte Objekte erscheinen zunehmend bläulich. |
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3. Struktur und Textur Nahe Objekte erscheinen größer und grober strukturiert als ferne. |
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4. Überlappung Objekte, die von anderen überdeckt werden, scheinen weiter entfernt zu sein. |
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Gesetz der Guten Gestalt / Prägnanz |
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Das Prägnanzprinzip ist das den Gestaltgesetzen zugrundeliegende
Fundamentalprinzip. Unsere Wahrnehmung »interessiert« sich vor allem für Gestalten, die sich von anderen durch bestimmte Merkmale unterscheiden (Prägnanztendenz). Das ist hilfreich beim Heraustrennen und Gliedern von Gebilden aus einem komplexen Wahrnehmungsfeld. Jede Figur wird als möglichst einfache Struktur interpretiert. Die Wahrnehmung hat also eine Eigentendenz zu »Guten Gestalten«. |
![]() Die rechte Figur hat eine höhere Prägnanz, ist leichter zu erkennen |
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Gesetz der Ähnlichkeit |
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Gleiche oder ähnliche Elemente werden als zusammengehörig wahrgenommen. | ![]() ![]() |
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Gesetz der Nähe |
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Sind auf einem bestimmten Raum mehrere Elemente verteilt und variieren deren Abstände, so werden Elemente mit geringeren Abständen als zusammengehörige Gruppen wahrgenommen. | ![]() ![]() ![]() |
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Gesetz der Geschlossenheit |
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Fehlende Teile eines Reizganzen werden in der Wahrnehmung ergänzt, unvollständige
Figuren als zusammengehörig erlebt. Elemente, die Flächen umschließen, werden eher als Einheit aufgefasst als freistehende, offene Elemente. |
![]() ![]() Bei Konkurrenz mit dem Gesetz der Nähe ist das Gesetz der Geschlossenheit dominant. |
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Gesetz des gemeinsamen Schicksals |
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= Gesetz der guten Kurve Elemente, die sich gleichförmig verändern bzw. bewegen, werden als Einheiten erlebt. |
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Gesetz der Kontinuität |
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= Gesetz der guten Fortsetzung Elemente gleicher Form, die fortlaufend miteinander verbunden sind, werden als Einheit erlebt. |
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Gesetz der Symmetrie |
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Symmetrisch angeordnete Elemente werden als Einheiten erlebt. | ![]() |
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Gesetz der Dominanz |
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Klare, einfache Strukturen dominieren über komplexe Formgebilde. | ![]() |
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So lassen sich z. B. Landschaftseindrücke auf Farbflächen (blauer Himmel) oder Linienkonturen (Horizontlinie) reduzieren. | ![]() ![]() |
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Gesetz der Figur-Grund Beziehung |
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Zur Differenzierung zwischen Figur und (Hinter-) Grund werden
folgende Aspekte herangezogen: Geschlossenheit, Abgrenzung, Textur,
Farbe, Gliederung, Kontrast, Helligkeit, Räumlichkeit. Eine interessante »Störung« entsteht bei so genannten Vexierbildern (Kippfiguren), bei denen sich eine Gleichwertigkeit von Figur und Grund einstellt. |
![]() Schwarzer Rahmen oder weisses Quadrat? ![]() Drei oder vier Figuren? |
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Gesetz der Parallelität |
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Parallel angeordnete Elemente werden als Einheiten wahrgenommen. | ![]() |
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Gesetz der durchgehenden Linie |
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Dominiert beim visuellen Sinneseindruck die Linie, so bilden durchgehende Linien leichter Einheiten als offene Linienstrukturen. | ![]() |
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Gesetz der Innenseite |
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Innenwinkel von Körpern sind meist kleiner als Außenwinkel. | ![]() |
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Gesetze der Erfahrung |
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Zunächst undefinierte Strukturen werden dank individueller
Erfahrungen als bekannte Gestalt wahrgenommen. Dieses Wahrnehmungsphänomen ist Voraussetzung für die Simulation dreidimensionaler Objekte auf einer Fläche. Die Gesetze der Erfahrung lassen sich auf Konstanzphänomene zurückführen:
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![]() Drei schwarze Figuren oder der Buchstabe E? |
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Unmögliche Figuren |
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Diese Figuren simulieren im zweidimensionalen Raum eine unmögliche Dreidimensionalität und stellen damit unsere Wahrnehmung vor unlösbare Aufgaben. | ![]() Unmögliches Dreieck, um 1934 von O. Reutersvärd eher zufällig entdeckt ![]() »Verrückte Lattenkiste« von Dr. Cochran, Chicago, 1950er Jahre |
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